27. Januar 2006

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Jahrestag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz -Gedenken an die deportierten Juden aus Buttenhausen

Herr Bürgermeister Münzing,
Herr Ortsvorsteher Schustereder,
meine Damen und Herren MdB, MdL, Kreisräte,
Gemeinderäte, Ortschaftsräte,
meine Damen und Herren,


wir gedenken heute am Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz vor 61 Jahren aller Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Opfer der Militärgerichtsbarkeit, Behinderte, Opfer der Euthanasie, Kriegsgefangene, politische Häftlinge, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Frauen und Männer des Widerstands und alle anderen, die während der Zeit des Nationalsozialismus gequält und ermordet wurden. Die Reihenfolge dieser Aufzählung stellt keine Wertung dar. Jedes Opfer hat das gleiche Recht auf Anerkennung und Würdigung.

Unser Gedenken gilt allen, die unermessliches Leid erlitten, denen die Würde genommen wurde, die ihr Leben verloren. Und es gilt allen, die, auch wenn sie die infernalische Todesmaschinerie überlebt haben, doch an ihr zerbrochen sind: an dem zugefügten Schmerz, an dem Verlust des Glaubens an die Menschlichkeit, an der Unbeschreiblichkeit dessen, was geschehen ist.

Denn bis heute fällt es uns schwer – wie sollte es auch anders sein – uns dem Grauen unserer Geschichte zu stellen. So gut wir inzwischen die historischen Tatsachen der Judenvernichtung kennen, so wenig sind wir imstande, das Geschehen zu begreifen. Wie konnte Politik in einem vormals demokratischen Staat, in unserem Land, dazu verkommen, die systematische Vernichtung ganzer Völker kaltblütig zu planen und mit organisatorischer Perfektion umzusetzen? Wie konnte es geschehen, dass Deutsche so erbarmungslos folterten und mordeten? Warum sahen so viele tatenlos zu? Gerade weil wir uns die Brutalität der Täter und die Leiden der Opfer nicht vorstellen können, gerade deshalb müssen wir daran erinnern und gemeinsam immer neu nach Formen des Erinnerns suchen, die uns eine Annäherung an das Geschehene ermöglichen.

10 654 psychisch Kranke oder geistig behinderte Menschen wurden in Grafeneck grausam ermordet. Unter den 1 000 Juden aus Württemberg, die 1941 nach Riga deportiert und erschossen wurden, waren 25 aus Buttenhausen. Insgesamt sind heute über 160 Menschen bekannt, die von Buttenhausen aus nach Theresienstadt deportiert wurden; davon über 40 aus Buttenhausen selbst. In Theresienstadt starben sie unter den unmenschlichen Lebensbedingungen oder wurden in Tötungslagern ermordet. Buttenhausens jüdische Gemeinde war am Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöscht!

Die verpflichtende Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen ist Teil unserer moralischen und politischen Identität. Unser Grundgesetz verpflichtet uns, die Würde des anderen, die Würde des Menschen zum unbedingten Maßstab unseres Handelns zu machen. Es geht eben nicht nur um Vergangenheit, es geht nicht um richtige oder falsche Schuldzuweisung, sondern um die aus der beschämenden Erinnerung erwachsene Verantwortung in der Gegenwart und für die Zukunft.

Rechtsextreme Politiker haben im vergangenen Jahr in einem deutschen Parlament gewagt, die Barbarei des Holocaust zu relativieren und den Opfern den Respekt zu verweigern. Es ist eine Schande – und es ist eine Herausforderung für uns alle!

Als Demokraten müssen wir auch und vor allem die politische Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen suchen und wir müssen diese Auseinandersetzung offensiv und überzeugend angehen. Wegschauen, ignorieren, schweigen, all das dürfen wir Demokraten nicht! Darum geht es also.

Jede Generation hat das Recht und die Pflicht, ihre eigene Form des Gedenkens zu entwickeln. Sie muss sich dem Geschehen auf ihre Art und Weise stellen, ihren eigenen Zugang suchen und finden. Nur so halten wir unser kollektives Gedächtnis in einer Weise lebendig, die für Jüngere und Ältere, für Angehörige der Erlebnisgeneration wie ihre Kinder und Kindeskinder in einem gemeinsamen Horizont des Verstehens und zugleich eine Basis des Gesprächs für das Geschehene bietet.

Wir brauchen neue Ansätze des Erinnerns und ich denke, die Kunst in ihren vielschichtigen Ausdrucksformen ist ein wichtiges Medium der Erinnerung.
Und wir brauchen Orte des Gedenkens. Der dreiteilige Gedenkstein nennt die Namen der Buttenhäuser Juden, die der Mordmaschinerie der Nazis zum Opfer gefallen waren. Prof. Karl Adler, auf dessen Initiative die Gedenkstätte zurückgeht, will mit dem Gedenkstein den Opfern zurückgeben, was zurückgebracht werden konnte, die Namen der Toten! Wir wollen dieser Menschen gedenken!


Betroffenheit, die bloß ratlos macht, Wissen, das folgenlos bleibt – solcher Art Ergebnisse von Erinnerungsarbeit sind nicht menschengemäß und gesellschaftlich wirkungslos. Erscheinungsform und Wirkungen von Intoleranz und Rassenwahn zu begreifen und mit diesem Wissen und Empfinden die Gegenwart zu beobachten und in ihr zu handeln, darum geht es.
Ich danke Ihnen!



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