Ein Kuriosum - Der Gutsbezirk Münsingen

Historie

Am 3.8.1895 unterzeichnete Wilhelm II, König von Württemberg, die Ermächtigung für die Zwangsenteignung von Grundstücken auf dem Münsinger Hardt mit einer Gesamtfläche von 3.700 Hektar zur Einrichtung eines Truppenübungsplatzes. Die Anrainergemeinden Zainingen, Feldstetten, Ennabeuren, Ingstetten, Magolsheim, Böttingen und Auingen müssen zwischen 17 und 830 Hektar abtreten. Der Truppenübungsplatz Münsingen wurde am 1. April 1896 offiziell seiner Bestimmung übergeben.

Mitte Februar 1937 erhält das Oberamt Urach die Nachricht des Oberkommandos des Heeres zur Räumung des 650 Seelen zählenden Dorfes Gruorn. Die gesamte Markung wurde dem Truppenübungsplatz zugeschlagen; diese Erweiterung auf insgesamt 6.703 ha war im Jahr 1942 abgeschlossen.
Das Gebiet des Truppenübungsplatzes wurde mit Verfügung vom 10. April 1942 (ABl. des Württembergischen Innenministeriums vom 15. Juli 1942) mit Wirkung zum 1. Oktober 1942 als Heeresgutsbezirk eingerichtet und zum gemeindefreien Bezirk erklärt. Rechtsgrundlage war die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 in Verbindung mit der Verordnung über gemeindefreie Grundstücke und Gutsbezirke vom 15. November 1938 (RGBl. S. 1631).

Im Juli 1945 wurde der Truppenübungsplatz Münsingen den französischen Besatzungstruppen übergeben und 1947 offiziell zum Übungsplatz der französischen Streitkräfte in Deutschland (FFA) erklärt.
Nach Abzug der französischen Streitkräfte wurde der Truppenübungsplatz 1992 von der Bundeswehr übernommen. Die militärische Nutzung wurde im Jahr 2005 eingestellt.

Das Gebiet des ehemaligen Truppenübungsplatzes Münsingen einschließlich der besiedelten Bereiche (Altes Lager und Breithülen) gehörte insgesamt bis 31.12.2010 zum Landkreis Reutlingen und wurde bis zu diesemZeitpunkt von einem Gutsvorsteher verwaltet, der für die im Gutsbezirk wohnenden Personen die örtlichen Verwaltungsaufgaben wahrnahm.

Bezirksvorsteher (Bestellung durch Oberfinanzdirektion):
  • Friedrich Schock ab 7.5.1946
  • Adam Fleischmann ab 1975
  • Günther Müller ab 18.8.1980
  • Horst Medrow ab 1.8.1982 bis 31.12.2010

Nach Abzug der Truppen stellte sich die Frage nach der Zukunft des Truppenübungsplatzes...

Sämtliche Grundstücke des ehemaligen Truppenübungsplatzes stehen - abgesehen von wenigen Ausnahmen - nach wie vor im Eigentum des Bundes (Bundesanstalt für Immobilienangelegenheiten – BImA) mit Sitz in Bonn.

Der ehemalige Truppenübungsplatz ist zwischenzeitlich Kern des neuen Biosphärengebiets Schwäbische Alb. Der größte Teil hat zudem den Status eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes. Dieser zusammenhängende Landschafts- und Lebensraum ist von extensiver land- und forstwirtschaftlicher Nutzung geprägt und weder durch Verkehrswege zerschnitten oder wird von sonstigen Nutzungen beeinträchtigt. Entsprechend wurde die Fläche als Gesamtheit 2005 als FFH- und Vogelschutzgebietskulisse gemeldet.

Wegen der Kampfmittelbelastung des Geländes und zum Schutz von Natur und Landschaft wurde der ehemalige Truppenübungsplatz mit Rechtsverordnung des Regierungspräsidiums Tübingen und des Landratsamts Reutlingen vom 4. April 2006 mit Ausnahme einiger Wege gesperrt. Nicht zuletzt hat das Regierungspräsidium Tübingen den ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen 2007 aus wissenschaftlichen (hier vor allem landes- und militärgeschichtlichen) und heimatgeschichtlichen Gründen in die Liste der Kulturdenkmale gem. § 2 Denkmalschutzgesetz aufgenommen.
Infolge der zurückliegenden militärischen Nutzung sind polizei- und haftungsrechtliche, ökologische und kulturhistorische Besonderheiten zu beachten, die es rechtfertigen, diesen unbesiedelten Bereich „gemeindefrei“ zu belassen, also nicht zu rekommunalisieren.

...und es stellte sich vor allem auch die Frage nach der Zukunft der besiedelten Bereiche!

Siedlungsflächen finden sich nur im Bereich des an die Stadt Münsingen-Auingen anschließenden „Alten Lagers“ (Gebäude des ehemaligen Truppenübungsplatzes), der Wohnsiedlung Breithülen und des südwestlich an diese anschließenden ehemaligen Munitionsdepots. Diese Flächen machen weniger als 5 % der Gesamtfläche des gemeindefreien Gebiets aus.

Altes_Lager

Breithuelen

Mit Fortfall der militärischen Nutzung auf dem Truppenübungsplatz Münsingen war die Aufrechterhaltung des Gutsbezirks – soweit der bewohnte Bereich betroffen war – infolge des Fortfalls des rechtfertigenden Grundes sowie aufgrund des Fehlens einer Einwohnervertretung als nicht mehr verfassungskonform anzusehen. Daraus ergab sich, dass sowohl nach Bundesrecht als auch nach Landesrecht eine Rekommunalisierung der bewohnten Bereiche des Truppenübungsplatzes Münsingen zwingend wurde.


Bildung einer Arbeitsgruppe und einstimmiger Beschluss in den Gremien

Die Frage einer Rekommunalisierung des besiedelten Gebiete im Gutsbezirk Münsingen, nämlich „Breithülen“ und „Altes Lager“ mit „Kapf“ und „Königstraße“ wurden seit Ende der militärischen Nutzung mit dem Innenministerium, dem Regierungspräsidium Tübingen und den beiden Landkreisen Reutlingen und Alb-Donau-Kreis diskutiert und führten im September 2009 zur Bildung einer Arbeitsgruppe mit Vertretern der betroffenen Städte und Gemeinden (Münsingen, Heroldstatt und Schelklingen), den Landkreisen Reutlingen und Alb-Donau-Kreis, dem Regierungspräsidium Tübingen sowie der Bundesanstalt für Immobi-lienaufgaben (BImA), um die Neugliederung des gemeindefreien Gebiets „Gutsbezirk Münsingen voranzutreiben und einen gemeinsamen Antrag an den Landesgesetzgeber zu formulieren. Die Federführung oblag dem Landkreis Reutlingen.

Nach insgesamt vier Sitzungen im Herbst 2009 verabschiedete die Arbeitsgruppe am 12. November 2009 eine gemeinsame Beratungsvorlage als „Masterdrucksache“ für die beteiligten Kreistage und Gemeinderäte, die den Antrag zur Neugliederung des gemeindefreien Gebiets „Gutsbezirk Münsingen“ zum Inhalt hatte. Noch im Dezember 2009 wurde dieser Antrag in sämtlichen Gremien einstimmig beschlossen und an das Regierungs-präsidium zur Weiterführung des Gesetzgebungsverfahrens weitergeleitet.

Inhalt des gemeinsamen Beschlusses:

1. Der Landkreis Reutlingen und die anderen beteiligten Kommunen treten dem über das Regierungspräsidium Tübingen beim Innenministerium Baden-Württemberg zu stellenden Antrag auf Rekommunalisierung des ehemaligen Truppenübungsplatzes nach folgenden Maßgaben bei:
a) Die bewohnten Bereiche Breithülens werden der Gemeinde Heroldstatt, das
ehemalige Munitionsdepot der Gemeinde Schelklingen und das Alte Lager ein-schließlich Kapf und Königstraße der Stadt Münsingen eingegliedert.
b) Der Gutsbezirk wird aufgelöst.
c) Der verbleibende Bereich des ehemaligen Truppenübungsplatzes Münsingen bleibt gemeindefreies Gebiet und wird vom Landratsamt Reutlingen verwaltet.

2. Der Landkreis Reutlingen stimmt der Änderung der Kreisgrenze zugunsten des Alb-Donau-Kreises zu.

3. Der Übernahme der Verwaltungszuständigkeit für das gemeindefreie Gebiet wird unter der Bedingung zugestimmt, dass die Rahmenvereinbarung mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) abgeschlossen werden kann.

4. Die Verwaltung wird beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen und Vereinbarungen abzuschließen und die erforderlichen Schritte zur Umsetzung zu veranlassen.


Gesetz zur Neugliederung des gemeindefreien Gebiets „Gutsbezirk Münsingen“

Da die vorgeschlagene Neustrukturierung des Gebiets auch zur Umgliederung von bisher gemeindefreien Grundstücken vom Landkreis Reutlingen in den Alb-Donau-Kreis führte, bedurfte es hierfür gemäß § 74 Abs. 3 Satz 1 der Landesverfassung (LV) in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Satz 1 der Landkreisordnung (LKrO) eines Gesetzes.

Im Zuge des Gesetzgebungsverfahren zur Neugliederung des gemeindefreien Gebiets „Gutsbezirk Münsingen“ war zunächst als weitere wichtige Vorarbeit die parzellengenaue Vermessung der neuen Grenzverläufe zu leisten:
Die Siedlungsflächen des gemeindefreien Gebiets des seitherigen Gutsbezirks Münsingen waren drei Gemeinden neu zuzuordnen. In die Stadt Münsingen wurde im Bereich des sog. Alten Lagers einschließlich Kapf und Königstraße eine Fläche von 962.686 m², in die Gemeinde Heroldstatt im Bereich der Siedlung Breithülen eine Fläche von 775.116 m² und in die Stadt Schelklingen im Bereich des ehemaligen Munitionsdepots eine Fläche von 562.687 m² eingegliedert.
Die Flächen, die in die beiden Gemeinden Heroldstatt und Schelklingen eingegliedert wurden, gingen vom Landkreis Reutlingen auf den Alb-Donau-Kreis über.
Die Vermessung erfolgte im Juli 2010 nach einer Begehung mit den Beteilig-ten und Vertretern des Innenministeriums durch das Kreisamt für Landentwicklung und Vermessung.
Gemeindefrei bleibt eine Fläche von (6703 ./. 230 ha) 6473 ha = 64,73 km².

Bürger wurden angehört

Am 26. September 2010 fand eine Anhörung der Bürger des Gutsbezirks Münsingen statt.
Im Wahlbezirk „Breithülen“ nahmen von 58 Wahlberechtigten 37 an der Anhörung teil. 35 Wähler stimmten für die Eingliederung in die Gemeinde Heroldstatt.
Im Wahlbezirk „Altes Lager“ gingen von 29 Wahlberechtigten nur 12 an die Urne. Eine(r) votierte dafür, 11 gegen die Eingliederung nach Münsingen.
Direkte Auswirkungen auf das Gesetzgebungsverfahren hatte diese Anhörung allerdings nicht.

Der Gesetzentwurf wurde in die beiden letzten Landtagssitzungen des Jahres 2010 (24./25.11.: 1. Lesung, 15./16.12.: 2. Lesung) eingebracht. Die Verkündung des Gesetzes im Gesetzblatt erfolgte noch im Jahr 2010, sodass das Gesetz zum 1.1.2011 in Kraft treten konnte.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes war gleichzeitig die Gutsbezirksverwaltung aufgelöst.


Der Landkreis Reutlingen nimmt Gemeindeaufgaben wahr

Die Aufgaben in den besiedelten Gebieten Breithülen und Altes Lager sowie im ehemaligen Munitionsdepot gingen auf die „aufnehmenden“ Gemeinden über.

Welche Aufgaben auf den Landkreis Reutlingen übertragen wurden regelt § 2 des Gesetzes zur Neugliederung des gemeindefreien Gebiets „Gutsbezirk Münsingen“.

Der Landkreis Reutlingen erfüllt demnach in dem gemeindefrei bleibenden Gebiet, das bereits Bestandteil des Kreisgebiets ist, künftig alle Aufgaben, die im Gemeindegebiet einer kreisangehörigen Gemeinde obliegen. Dementsprechend erhielt der Landkreis Reutlingen in dem Gebiet die hoheitlichen Befugnisse einer kreisangehörigen Gemeinde.

Der Landkreis Reutlingen ist auch in förderrechtlicher Hinsicht den Gemeinden gleichgestellt. Insbesondere für Bauten im Bereich Gruorn aber auch für weitere Tourismuseinrichtungen werden auch künftig Zuschüsse aus dem Ausgleichstock, dem Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR) oder dem Förderprogramm Tourismusinfrastrukturprogramm benötigt.

Der Landkreis Reutlingen beabsichtigt, in Vereinbarungen über die Erledigung bestimmter hoheitlicher Aufgaben einzutreten, die der Gutsbezirk Münsingen mit der Stadt Münsingen geschlossen hat.

Die Vereinbarungen betreffen die Wahrnehmung des Brandschutzes und des Standesamtwesens in dem gemeindefreien Gebiet. Der Landkreis kann durch Vereinbarung die Erledigung einzelner Aufgaben einer Gemeinde übertragen und hat dies z.T. auch bereits getan. Durch eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung wurde der Standesamtsbezirk Gutsbezirk mit Wirkung vom 25.09.2009 aufgelöst und mit dem Standesamtsbezirk Münsingen zusammengelegt.

Siedlungsentwicklung:
Zuständig für Bau- und Planungsrecht ist der Landkreis Reutlingen.
Aufgrund der naturschutzrechtlichen Restriktionen ist der siedlungsfreie Teil des gemein-defreien Gebiets „Gutsbezirk Münsingen“ dauerhaft einer Nutzung oder Erschließung für Siedlungs-, Wirtschafts- oder Verkehrszwecke praktisch entzogen. Für eine kommunale Entwicklung kommt das Gebiet daher nicht in Betracht.

Gefahrenabwehr:
Zur Gefahrenabwehr und -minimierung, Beratung und Gefährdungsbeurteilung übernimmt der Landkreis Reutlingen gegen Kostenersatz Mitarbeiter der BImA mit dem Aufgabenkreis einer Vertretung der Ortspolizeibehörde (Vollzug der Gefahrenabwehr, polizeiliche Befugnisse etc.)
Die Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr nach der StVO ist bei der Straßenverkehrsbehörde des Landratsamts angesiedelt.
Grundsätzlich ist jedoch die BImA als Eigentümerin für die Gefahrenabwehr auf dem Platz zuständig.

Friedhöfe:
Im Bereich des ehemaligen Truppenübungsplatzes sind noch zwei Friedhöfe vorhanden („Gänsewaag“ und „Hörnle“). Hauptsächlich sind dort Kriegstote aus dem 1. und 2. Weltkrieg bestattet. Bestattungen sind dort nicht mehr möglich.
Die Friedhöfe liegen an jetzt viel begangenen Wander- und Spazierwegen.
Die Friedhofsanlagen sind vom Eigentümer BImA zu unterhalten.

Steuern:
Das Finanzministerium hat ergänzend zu dem Gesetz zur Neugliederung des gemeindefreien Gebiets „Gutsbezirk Münsingen“ einen Entwurf zur Regelung der dem Landkreis Reutlingen zustehenden Befugnisse nach dem Grundsteuergesetz und dem Gewerbesteuergesetz erlassen.
Die Erlöse aus der Steuererhebung sollen die durch die Aufgabenübertragung im gemeindefrei bleibenden Gebiet des Gutsbezirks Münsingen entstehende Mehrbelastung des Landkreises Reutlingen decken.


  • Landratsamt Reutlingen
  • Bismarckstraße 47
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