Landrat Thomas Reumann schlägt Drei-Stufen-Plan Vor

Konsequenzen aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für das
Land Baden-Württemberg vom 17. Februar 2020 und Vorlage eines konkreten Drei-Stufen-Plans für das weitere Vorgehen

                                                                                              
                                                                                               21. Februar 2020

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
 
der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat mit Urteil vom
17. Februar 2020 die Verfassungsbeschwerde der Stadt Reutlingen ohne mündliche Verhandlungen als unzulässig zurückgewiesen. Diese Entscheidung schafft Klarheit und beendet eine siebenjährige Hängepartie. Landesregierung, Landtag und nun auch der Verfassungsgerichtshof haben über die Auskreisungsbestrebungen der Stadt Reutlingen entschieden und die Anträge der Stadt Reutlingen abgelehnt.

Deshalb ist es jetzt höchste Zeit, das Verbindende wieder viel mehr in den Blick zu nehmen als das Trennende. Mit einem partnerschaftlichen Miteinander, einem Verständnis von Stadt und Land im Sinne von „Hand in Hand“, mit einem vernetzten Denken und einer integrativen Kommunalpolitik, die die Anliegen und Belange der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und des Handwerks im Blick hat.

Wie Sie wissen, hat der Landkreis das Ersuchen des Landtags angenommen und nimmt es bis heute sehr ernst. Unmittelbar nach der Entscheidung des Landtags im Dezember 2018 hat der Landkreis der Stadt Reutlingen deshalb ein konkretes Gesprächsangebot gemacht. Dies entspricht im Übrigen auch einem klaren Auftrag des Kreistages, der auf Vorschlag der Verwaltung in seiner Sitzung am 1. April 2019 mit großer Mehrheit folgenden Beschluss gefasst hat:


1.    Entsprechend dem Ersuchen des Landtags von Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 20. Dezember 2018 ist der Landkreis Reutlingen bereit, Gespräche mit der Stadt Reutlingen zu führen, um gemeinsam Möglichkeiten und Verbesserungen in der kommunalen Zusammenarbeit und der Aufgabenerfüllung herauszuarbeiten.

2.    Die Verwaltung wird beauftragt, unabhängig von der anhängigen Verfassungsbeschwerde gemeinsam mit der Verwaltung der Stadt Reutlingen einen Vorschlag für das Format, die Rahmenbedingungen und die Struktur der ergebnisoffenen Gespräche zu erarbeiten.


Entsprechend diesem Auftrag hatte ich Sie um den zeitnahen Einstieg in die Gespräche gebeten und darauf hingewiesen, dass dies im Übrigen schon der Respekt vor der Entscheidung des Landtags von Baden-Württemberg gebiete. Ich hatte dieses Gesprächsangebot mit Schreiben vom 22. Juli 2019 erneuert, nachdem Sie Gespräche mehrfach schriftlich abgelehnt hatten. Die von der Stadt öffentlich geäußerten Behauptungen, der Landkreis und auch ich persönlich hätten Gespräche „abgelehnt“ oder gar „verweigert“, werden durch den zwischen dem Landkreis und der Stadt existierenden Schriftverkehr widerlegt. Ich weise diese Behauptungen in aller Deutlichkeit zurück. Lassen Sie uns auf die Sachebene zurückkehren. Ganz offensichtlich nichtzutreffende Behauptungen werden durch Wiederholungen nicht wahrer. Bei Bedarf kann ich Ihnen den Schriftverkehr gerne in Abschrift zukommen lassen.
 
Unsere gemeinsame Verantwortung ist klar formuliert im Ersuchen des Landtages, der in seiner Entscheidung vom 20. Dezember 2018 insbesondere beschlossen hat:


1.    festzustellen ist, dass nach umfassender Abwägung aller für und gegen eine Gebietsänderung sprechenden entscheidungserheblichen Aspekte keine überwiegenden Gründe des öffentlichen Wohls für eine Erklärung der Stadt Reutlingen zum Stadtkreis sprechen;


2.    in Bezug auf den Landkreis Reutlingen am bestehenden Gebietszuschnitt festzuhalten,


3.    den Landkreis und die Stadt Reutlingen zu ersuchen, gemeinsam Möglichkeiten der Verbesserung der kommunalen Zusammenarbeit und der Aufgabenerfüllung herauszuarbeiten. Hierbei sollen insbesondere auch Möglichkeiten der Aufgabenübertragung auf die Stadt Reutlingen zur Erledigung in eigener Zuständigkeit einschließlich der Übertragung der Finanzverantwortung für diese Aufgaben identifiziert werden…
Um nun konkret sachorientiert und zügig voranzukommen, schlage ich Ihnen einen Drei-Stufen-Plan vor:
 
1.    In einem ersten Schritt soll die Einrichtung einer gemeinsamen Lenkungsgruppe im Gemeinderat der Stadt Reutlingen sowie im Kreistag des Landkreises Reutlingen beschlossen werden. Die Lenkungsgruppe steht unter dem gemeinsamen Vorsitz des Landrats und des Oberbürgermeisters. Äußeres Zeichen ist die Einrichtung einer gemeinsamen Geschäftsstelle, die den Prozess, der sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen wird, steuert und gestaltet. Die gemeinsame Lenkungsgruppe wird paritätisch besetzt durch Vertreter des Gemeinderates der Stadt Reutlingen und Vertreter des Kreistages des Landkreises Reutlingen.

Die Lenkungsgruppe wird einen Arbeitsauftrag definieren und die Themen und Bereiche festlegen, die bearbeitet und vertieft werden sollen. Hierzu sollen je nach Thema Arbeitsgruppen eingesetzt werden, die je nach Themenstellung Vertreter von Experten und Fachinstitutionen hinzuziehen können. Die Aufgabenstellung und der Arbeitsauftrag werden in Beschlüssen im Kreistag und Gemeinderat in einer gemeinsamen Drucksache formuliert.


2.    Fachlich und inhaltlich kann Gegenstand der Besprechungen natürlich nicht ein einseitiger Forderungskatalog der Stadt sein, der die identischen Rechtswirkungen einer Stadtkreisgründung herbeiführt - nur eben im Wege von Einzelregelungen.

Ich halte es deshalb für sinnvoll, entsprechend dem Ersuchen des Landtages gemeinsam Möglichkeiten der Verbesserung der kommunalen Zusammenarbeit und der Aufgabenerfüllung herauszuarbeiten. Dies aber immer mit dem Schwerpunkt, wie wir damit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und des Handwerks besser gerecht werden können. Hierzu soll eine Defizitanalyse gemeinsam erarbeitet werden, um auf dieser Basis auch Möglichkeiten einer Aufgabenübertragung sachgerecht identifizieren zu können.
In diesem Sinne können drei Themenbereiche, die die Stadt im Rahmen der Anhörung von den Regierungsfraktionen aus ihrer Sicht als Defizite benannt hat, unmittelbar als Prüfauftrag angegangen werden. Zum einen die mögliche Übertragung von Aufgaben der Jugendhilfe einschließlich der Übertragung der Finanzverantwortung für diese Aufgaben, die Einrichtung einer KFZ-Zulassungsstelle im Bürgeramt der Stadt Reutlingen sowie die Frage, wie die besonderen Kompetenzen der Berufsfeuerwehr der Stadt Reutlingen für Aufgaben des Katastrophenschutzes besser genutzt werden können.

Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Kreistag bereits bei der Neubesetzung des Jugendhilfeausschusses im vergangenen Jahr dem Wunsch der Stadt Reutlingen entsprochen hat und einen beratenden Sitz namentlich für Herrn Verwaltungsbürgermeister Hahn sowie einen Sitz mit Stimmrecht für einen Vertreter der Stiftung Jugendwerk beschlossen und umgesetzt hat.


3.    Wie Sie weiter wissen, hatte ich bereits mit Schreiben vom 17. Oktober 2018 an die Herren Landtagsabgeordneten Uli Sckerl und Thomas Blenke einen konkreten Vorschlag für ein kurzfristiges gemeinsames Projekt im Bereich der Jugendhilfe in der Stadt Reutlingen gemacht, um ein auch für die Bürgerinnen und Bürger sichtbares Zeichen zu setzen, dass es uns nicht um Strukturen und Verwaltungszuständigkeiten geht, sondern um ganz konkrete Verbesserungen für ihr Lebensumfeld. Dieses Modellprojekt soll besondere Bedarfe der Stadt Reutlingen aufgreifen und zwar dort, wo besondere Brennpunkte sind. Das Projekt orientiert sich an den Grundsätzen der Sozialraumorientierung, da nur dadurch ein ganzheitlicher Ansatz unter Berücksichtigung aller Belange, aller Angebote und aller Beteiligter gewährleistet wird. Ich hatte weiter vorgeschlagen, das Projekt wissenschaftlich zu begleiten und zu evaluieren mit dem Ziel, daraus Erkenntnisse zu gewinnen, ob eine Optimierung in der Zusammenarbeit, der Organisation und ggflls. daraus abgeleitet von Strukturen zielführend ist. Auch dieses Angebot haben Sie mit Schreiben vom 18. April 2019 abgelehnt.

Ungeachtet dessen, haben wir Ihnen, Herrn Verwaltungsbürgermeister Hahn sowie Herrn Finanzbürgermeister Kreher in einem gemeinsamen Gespräch am 9. Januar 2020 gemeinsam mit den Herren Dezernenten Pflumm und Dr. Müller erneut vorgeschlagen, ein derartiges Projekt unabhängig von der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs umzusetzen. Zum damaligen Zeitpunkt war ja nicht absehbar, dass der Verfassungsgerichtshof nunmehr kurzfristig entscheidet. Auch hier haben wir bis zum heutigen Zeitpunkt keine Zustimmung zur Prüfung des Projektes auf seine Umsetzungsmöglichkeiten erhalten.
 
Für die Umsetzung dieses Drei-Stufen-Planes brauchen wir keine Vorgaben aus Stuttgart - wir vor Ort müssen das besprechen und für uns passgenaue Lösungen finden. Auf der Grundlage der dann gefundenen Ergebnisse und Beschlussfassung durch unsere Gremien ist dann ggf. der Landtag aufgerufen, uns zu unterstützen. Der Landtag von Baden-Württemberg hat deshalb diese Gespräche ganz bewusst auf Stadt und Landkreis als Träger der kommunalen Selbstverwaltung übertragen und richtigerweise in der Begründung ausgeführt:

„Wenn Ergebnisse der Gespräche zwischen Landkreis und Stadt vorliegen, kann insgesamt geprüft werden, welche Konsequenzen sich für alle Beteiligten ergeben“.

Mit freundlichem Gruß

Thomas Reumann

 Schreiben von Landrat Thomas Reumann


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