Landkreis aktuell

Gemeinsam an den Themen der Zeit: Theateraufführung für Jugendliche


Der 2020 wieder ins Leben gerufene Jugendarbeitskreis in Münsingen (JAK2.0) hat es sich zur Aufgabe gemacht, aktuelle, belastende sowie brisante Themen von Jugendlichen aufzugreifen, diese frühzeitig durch gezielte präventive Maßnahmen zu thematisieren und mit den Jugendlichen in einen konstruktiven Austausch zu kommen. So wurden bereits in enger Kooperation einzelne gemeinsame (Sucht-) Präventionsveranstaltungen durchgeführt. Vergangene Woche waren die Jugendlichen zur Aufführung des Theaterstücks „See the real me“ des Theaters Tonne eingeladen.

Identitätsfindung und Sexualität im Fokus

Nach dem zweiten coronabedingten Lockdown 2021 fiel den Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter auf, dass die Jugendlichen bezüglich Identitätsfindung und Sexualität in einem verstärkten Maße auf der Suche nach Orientierung und Sicherheit waren. Hierzu waren mitunter auch heftige Konflikte unter den Jugendlichen zu beobachten.

Um diese Themen aufzugreifen, organisierten Stadt Münsingen, Kreisjugendamt (Familien- und Jugendberatung Alb), Bruderhausdiakonie,  Hilfe zur Selbsthilfe und die Jugend- und Drogenberatung des bwlv die Aufführung des Theaterstücks „See the real me“ in der Zehntscheuer in Münsingen. Die Kosten wurden vom Kreisjugendamt des Landkreises Reutlingen übernommen.

Am 6. April 2022 kamen rund 150 Jugendliche in den Genuss dieses besonderen Projekts des Theaters Tonne, das genau in die aufgewühlte und von Identitätspolitik geprägte Zeit passt. Die 25 jugendlichen Darstellerinnen und Darsteller haben sich seit den Pfingstferien 2021 intensiv mit den Themen „Gender“ und „Diversity“ auseinandergesetzt und unter Begleitung von Jana Riedel, Kerstin Risse, Michael Schneider, Sandra Omlor und Melissa Karakaya in Workshops ein ergreifendes Stück entwickelt.

Theaterstück von Jugendlichen für Jugendliche

In der 90-minütigen Vorführung wurden auf der Bühne zwei Lager in Szene gesetzt, die unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite die Gruppe grauer Menschen, die eine konservativ homophobe Haltung der Gesellschaft repräsentieren. Stets bestrebt, die Welt in einfache Kategorien einzuordnen und hierdurch Ordnung sowie Stabilität zu erhalten, jedoch im Handeln stark durch Abwertung und Arroganz geprägt.

Auf der anderen Seite die Kommission der Vielfalt, die sich für Diversität stark macht, sich mit den unterschiedlichsten Formen des Daseins auseinandersetzt und von einer sehr hohen Toleranz und  Akzeptanz geprägt ist.

Verschiedenste Themen, wie z.B. Körpernormen, Homo- und Transphobie, Identität zwischen Schein und Sein, Aufklärung im Sinne einer diverseren Welt wurden sehr lebendig und kontrovers diskutiert. Die Aspekte des LGBTQI wurden in kurzen Sequenzen dargestellt.

Was gilt als typisch weiblich, was als unverkennbar männlich? Ist das überhaupt immer noch so? Wie gelingt der Spagat zwischen eigener Entfaltungsfreiheit und der Anpassung an ein Umfeld, das bei weitem nicht so weit ist, alternative Lebensentwürfe zu akzeptieren?

Stereotypen in Verbindung mit Bodyshaming wurden unter die Lupen genommen und die berechtigte Frage gestellt, warum beispielsweise in Filmen dicke Menschen keine Hauptrolle bekommen.

Auf einer Leinwand wurden die Medien der heutigen Zeit und ihre Bedeutung aufgezeigt. Die Selbstdarstellung und das Streben nach Schönheit auf Instagram wurde thematisiert und auch kritisch in Frage gestellt.

Am Ende der Vorführung standen die Darstellerinnen und Darsteller außerdem für die unterschiedlichsten Fragen aus dem Publikum zur Verfügung. Obwohl zu spüren war, dass einerseits ein Teil der Jugendlichen mit dem neuen LSBTQI- Vokabular überfordert war und andererseits vielleicht doch die Sorge über Stigmatisierung und negative Urteilsbildung der Gleichaltrigen im Raum stand, wurden reichlich Fragen gestellt. Unter anderem tauchten Fragen auf wie: „Was kann ich machen, wenn mich Freunde aufgrund von LSBTQI nicht akzeptieren?“ und „Wo kann ich mir Hilfe holen?“. Umso besser, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendarbeitskreises (JAK.20) vor Ort waren, um der Frage „Wo“ ein Gesicht zu geben.

Insgesamt kann man von einer anregenden Veranstaltung gesprochen werden, bei der es sehr gut gelungen ist, eines der Spannungsfelder aufzuzeigen, in dem sich Jugendliche heutzutage bewegen. Einerseits der Wunsch nach einfachen Strukturen in Verbindung mit der Überforderung durch die bestehende Vielfalt. Andererseits die Chance einer bunten Gesellschaft, die durch Selbstannahme und Akzeptanz geprägt ist.

Die zentrale Botschaft der Veranstaltung dürfte bei den Jugendlichen angekommen sein: Dass sie genau so in Ordnung sind, wie sie sind.


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