Landkreis aktuell

„Wir sind eine Schule für alle“


Was denn an der Klasse 3a der Mörikeschule in Sondelfingen besonders ist? „Wir helfen uns gegenseitig“, sagt Denise als eine von 23 Schülerinnen und Schülern am heutigen Donnerstag beim Pressegespräch. „Wir lernen zusammen“, sagt Victoria und Olivia betont: „Die Lehrer sind nett.“ „Alle sind bei uns willkommen“, sagt Denise. Auch Tim, der Sohn von Susanne Dollinger gehört dazu, auch er ist willkommen. „Mein Sohn hat körperliche Einschränkungen und ist in der geistigen Entwicklung verzögert“, berichtet die Mutter aus Rommelsbach frei heraus bei einem Pressetermin anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Reutlinger Inklusionskonferenz. „Zu unserem kleinen Jubiläum möchten wir ein paar Projekte vorstellen, in denen Inklusion besonders gut gelingt“, sagte Susanne Blum als Geschäftsstellenleiterin der Inklusionskonferenz.

„Tim ist manchmal laut“, sagt Paul, der im Unterricht neben Tim sitzt. Aber das mache nichts aus, denn: „Es gibt auch andere Kinder, die manchmal stören“, sagt Denise. „Ja, die reden dann vielleicht mit dem Sitznachbarn.“ „Manchmal streiten wir auch“, betont Paul. Also – alles ganz normal, oder? Nicht unbedingt, denn in der 3a in der Mörikeschule sind unter den 23 Schülern acht, die im „Normalfall“, also an anderen Schulen, nicht in solch einer Klasse wären. Diese acht Schülerinnen und Schüler in der 3a haben einen „Anspruch auf sonderpädagogische Bildungsangebote“, erläutert Martin Schüler vom Staatlichen Schulamt, zuständig für den Bereich Sonderpädagogik.

232 Schülerinnen und Schüler sind insgesamt an der Sondelfinger Mörikeschule, darunter 26 eben mit solch einem besonderen „Anspruch“. Alle sind willkommen, hatte Denise aus der Klasse 3a betont – und das wird im alltäglichen Unterricht auch so gelebt: „Es gibt gemeinsame Stunden, in denen alle an einem Thema arbeiten“, berichtet Anne Frick als Grundschullehrerin, die gleichzeitig auch Sonderpädagogin ist. „Wir haben aber für die Schüler auch individuelle Lernzeiten, in denen sie auf verschiedenen Niveaus lernen“, so Frick. Dabei liest etwa jedes Kind ein eigenes Buch – und muss das anschließend auch vor der Klasse präsentieren. Diskriminierungen oder dumme Kommentare gebe es dabei nicht. Weil alle sich von Anfang an als gleich empfinden.

Insgesamt sind in der Klasse 3a eine Lehrerin, eine Sonderpädagogin und zwei Schulbetreuerinnen. Davon ist Tanja Röhrl speziell für Tim Dollinger zuständig. „Das heißt aber nicht, dass Tim nicht zur Schule darf, wenn Frau Röhrl nicht da ist“, erläutert Jasmin Reichenecker, die als Lehrerin in der 3a ist. „Dann kümmern wir uns gemeinsam um ihn“, betonen Reichenecker und Frick. Romina Bunjko ist die zweite Schulbegleiterin in der 3a, sie macht ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) an der Mörikeschule. „Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Inklusion tatsächlich gelebt wird“, sagt sie. Die Erfahrungen, die sie in Sondelfingen macht, gefallen ihr sehr: „Wenn alle Schüler zusammen in der Klasse sind, sieht man keinen Unterschied, sie helfen sich gegenseitig.“

Begeistert ist aber nicht nur Bunjko, sondern ganz besonders auch Susanne Dollinger: „Wir konnten im Vorfeld wählen, auf welche Schule Tim gehen soll.“ Die Dreifürsteinsteinschule (ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum) in Mössingen war eine Möglichkeit. Also eine besondere Schule für Kinder und Jugendliche mit Behinderung oder besonderen Beeinträchtigungen. Die andere Möglichkeit war eben die Mörikeschule in Sondelfingen, nur wenige Kilometer von Rommelsbach entfernt.

„Ich hatte aber richtig Bauchschmerzen, weil Tim oft sehr unruhig ist, weil er manchmal laut schreit und auch hin und wieder epileptische Anfälle hat“, berichtet Dollinger. Doch Stefanie Turki hatte als Rektorin der Mörikeschule alle Bedenken zerstreut. „Wir haben den Schwerpunkt der Inklusion in unserem Schulprofil – und es bewerben sich mittlerweile auch gezielt Lehrerinnen und Sonderpädagoginnen bei uns“, sagt Turki.

„Uns wurde die übergroße Sorge genommen, dass die Betreuung hier nicht funktionieren könnte“, betont Susanne Dollinger. Sie hat insgesamt drei Kinder, als sie Tim in der Mörikeschule in guten Händen wusste, „ist mir eine Riesenlast von den Schultern genommen worden“, betont die Mutter. Es sei ein großes Glück, „dass Tim hier von nichts ausgeschlossen wird, er an allem teilhaben kann“.

Und voller Stolz nimmt Tim am Donnerstag sein mit der Hilfe von Frau Röhrl erstelltes Büchlein mit den „schönen Wörtern“ und stellt sie dann auch der Klasse vor. „Löwe“, sagt Tim. „Klavier.“ Andere Kinder hatten andere schöne Worte gefunden: Besuch. Sport. Mbappé. Oder auch Respekt. „An der Mörikeschule werden Kinder auf alle weiterführenden Schulen vorbereit, also auch aufs Gymnasium, alle erfahren hier ihre individuell beste Förderung“, hatte Schulrat Schüler betont. „Die Mörikeschule ist keine Inklusionsschule, sondern eine Schule für alle“, sagt Stefanie Turki. Auch Kinder ohne Deutschkenntnisse werden dort fürsorglich aufgenommen und lernen in ihrem eigenen gut betreuten Rhythmus.

IK Mörikeschule


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